Der Verein Grips, die Janusz-Korczak-Schule, die Grundschule Friedland, die Albanischule, das Hainberg-Gymnasium und das Max-Planck-Gymnasium luden in die Aula ein zu einer Fortbildungsveranstaltungen am 30.11.12 mit Herrn Dr. Renger vom Deutschen Zentrum für Begabungsförderung und -forschung in Hannover im Minimax.
„Wenn ich zu 95% sicher bin, dass meine Antwort richtig ist, dann kann ich mich vielleicht melden.“
Charlotte meldet sich eigentlich nur, wenn sie zu 100% sicher ist, dass ihre Antwort stimmt. Also beteiligt sie sich so gut wie nie aktiv am Unterricht. Alle Aufforderungen und Ermutigungen von Eltern und Lehrern, sich stärker einzubringen, laufen ins Leere, denn Charlotte ist Perfektionistin und duldet keine Fehler. Nur, wenn man das weiß und berücksichtigt, ist es möglich, mit ihr gemeinsam an diesem Anspruch zu arbeiten und etwas daran zu ändern. – Vielleicht mit dem Kompromiss, es doch einmal mit 95 % zu versuchen, um etwas später die stolze Rückmeldung zu bekommen, dass es schon bei 93% geklappt hat und Charlotte wieder probieren möchte, sich doch zu melden.
Wie aber ist es Eltern, Lehrern und Lehrerinnen möglich, etwas über die Erwartungen, die Kinder an sich selbst stellen, zu erfahren? Welche Bedürfnisse haben unsere Schülerinnen und Schüler und wie sind Erwartungen, die Schule und Eltern ihnen vermitteln, damit vereinbar?
Diesen Fragen ging Herr Dr. Renger vom DZBF in einer Nachmittagsveranstaltung für Lehrerinnen und Lehrer des Kooperationsverbunds Hochbegabung I unter dem Motto „Potenzialentfaltung braucht Beziehung“ und in einem offenen abendlichen Vortrag mit dem Titel „Begabung erkennen trotz Erwartung und Druck“ in unterschiedlicher Weise nach. Insgesamt ging es darum, den Teilnehmern bzw. Zuhörern, zu verdeutlichen, in welchem System Begabungsausschöpfung stattfindet. So etabliere Begabung sich in einem Bedürfnisdreieck aus Sehnsucht nach Beziehung, Leistungsstreben und Selbstbehauptung. Bei jedem Menschen seien diese Bedürfnisse in unterschiedlicher Weise wirksam. Werden sie nicht erkannt oder fehlinterpretiert, so Herr Dr. Renger, ist Begabungsnutzung nicht möglich. Während z. B. ein intuitiv und spontan handelnder Schüler eine Form der Beruhigung und Hinführung zum konzentrierten Lernen benötigt, ist die ehrgeizige Schülerin eher zu ermutigen und zu bestärken. Dass hier ein schematisches Vorgehen versagt und eine individuelle Begleitung nötig ist, versteht sich von selbst und wirft Fragen der Umsetzung in einem relativ starren System mit großen Lerngruppen auf. Ein „umsichtiges Leistungsstreben“ aufzubauen, das es ermöglicht, bei Schwierigkeiten oder Fehlern auf Erfahrungen zurückzugreifen, Hindernisse als Herausforderungen zu begreifen und eigene Begabungen zu kennen, um sie bewusst einzusetzen, setzt in vielen Fällen eine enge Zusammenarbeit von Eltern und Lehrern voraus. Dass Pädagogen hier auch als Lernbegleiter und Mentoren gefragt sind, ist die logische Konsequenz. Wünschenswert erscheint eine Unterstützung der Schulen durch das Bildungssystem, um Lehrer zu entlasten und eine Ausbildung zu Lernbegleitern zu ermöglichen. Auch die Forderung einer Zuhörerin, diese Erkenntnisse müssten den Weg in die Lehrerausbildung finden, erscheint unbedingt berechtigt. Herr Dr. Renger sieht zwar die Hindernisse und die zögerliche Entwicklung in diesem Bereich, ist aber insgesamt optimistisch, da die Nachfrage der Ausbildung zum Lernbegleiter und / oder Mentor stetig steigt.